Sprachförderung: Hilfe bei Integration
DORTMUND. Was kommt zuerst, Türkisch oder Deutsch? Der türkische Ministerpräsident Erdogan plädiert für Türkisch als Erstsprache bei Migrantenkindern. Deutsche Politiker fordern das Gegenteil. Über die Realität in türkischen Familien sprach llka Bärwald mit Annette Feldmann, die ein Sprachförderungsprojekt für Migrantenkinder in Dortmund betreut.
Erdogan hat mit seinen Forderungen für Aufregung gesorgt. Wie sind Ihre Erfahrungen aus der Praxis?
Tatsache ist, dass in den türkischen Familien, die wir betreuen, hauptsächlich Türkisch gesprochen wird. Oft beherrscht ein Elternteil, meist der ,Nachgezogene‘, nur seine Muttersprache, die Deutschkenntnisse des anderen sind selten perfekt. Die Kinder haben also gar nicht die Möglichkeit, in den ersten drei Jahren Deutsch zu lernen. Wir sagen den Eltern: ,Lieber richtig Türkisch als schlecht Deutsch mit den Kindern sprechen‘. Wir haben Förderkinder, die beides nur halb sprechen. Sie bleiben für lange Zeit benachteiligt.
Das spricht aber für die von Erdogan abgelehnten Pllicht-Sprachkurse für Familienangehörige, die aus der Türkei nachziehen –
Deutschkenntnisse zu erwerben, wäre nicht nur im eigenen, sondern vor allem im Interesse ihrer Kinder. Ein Kind, das zur Einschulung nicht versteht, was im Unterricht erzählt wird, verstummt. Entwicklungschancen werden so verbaut.
Um diese zu verbessern, haben sie das Projekt „Sprache verbindet“ in Dortmund initiiert. Wie funktioniert es?
Oberstufenschüler, hauptsächlich Mädchen, aus demgleichen Stadtteil helfen als sogenannte Sprach-Scouts Kindergartenkindern und Grundschülern spielerisch beim Spracherwerb. Ein erwachsener ,,Pate“ ist beim Antrittsbesuch bei den Eltern dabei, sonst verbringen die Schüler wöchentlich zwei Stunden allein mit dem Kind in der Familie und sprechen nur Deutsch. Sie gehen auch ins Museum, in den Zoo oder in die Bibliothek. Die Scouts haben weniger eine Lehrerfunktion. Sie sind Freunde.
Gibt es unter den Scouts auch Jugendliche mit Migrationshintergrund?
Ja, sehr viele. Das ist aus gesprochen wichtig für das Projekt. Sie sind ein besonderes Vorbild, weil sie es mit dem gleichen Hintergrund in die Oberstufe des Gymnasiums geschafft haben. Außerdem erleichtert es den Kontakt zu den Familien, in denen kein Deutsch gesprochen wird.
Wie erfahren die Familien von dem Angebot?
Wir stellen es bei Elternabenden vor, informieren auch Erzieher und Schulleiter über das Förderprojekt. Die sprechen die Eltern dann gezielt an. Aber auch innerhalb der türkischen Gemeinde hat es sich herumgesprochen.
Sind diese Eltern Integrationsverweigerer?
Nein, im Gegenteil. Sie sind bildungsbewusst und integrationswillig. Auch wenn sie selbst nicht gut Deutsch sprechen, wollen sie das Beste für ihr Kind.
In den vergangenen vier Jahren haben fast 400 Kinder an dem Sprachförderungsprogramm teilgenommen. Ihre Bilanz?
Welchen Weg die Kinder nach dem Schulabschluss einschlagen, lässt sich noch nicht sagen, dafür ist das Projekt zu jung. Aber bei den meisten haben sich die Schulnoten verbessert. Sie trauen sich, im Unterricht etwas zu sagen. Mit guten Noten erhalten sie auch Empfehlungen für Realschule und Gymnasium.
Ihre Erfahrungen geben beiden Seiten Recht: Erdogan, der für Türkisch vor Deutsch plädiert, und Angela Merkel, die Sprachtests verteidigt.
Beide Seiten müssen sich bewegen. Es ist unrealistisch, dass Kinder in Migrantenfamilien zuerst Deutsch lernen, wenn die Familiensprache Türkisch ist. Wenn sie gut Türkisch können, fällt es ihnen auch leichter, Deutsch zu lernen. Grundsätzlich lassen sich Sprachdefizite der Kinder nur beheben, wenn die Eltern das Beherrschen der deutschen Sprache als notwendig erkennen. Pflichttests für Einwanderer sind da ein gutes Mittel.